Insbesondere bei leichten bis mittelgradigen depressiven Symptomen hat sich der Einsatz von standardisierten Johanniskrautpräparaten als wirksam erwiesen, sowohl für die Induktionstherapie als auch zur Rezidivprophylaxe. Basierend auf der empirischen Evidenzlage wird in der aktuellen S3-Leitlinie für die Therapie von unipolarer Depression eine Empfehlung ausgesprochen. Die Compliance ist im Allgemeinen gut, auch bei Personen, welche gegenüber Antidepressiva eine gewisse Skepsis haben.

Depressive Störungen sind häufig, führen zu einer erheblichen Beeinträchtigung der körperlichen und psychischen Befindlichkeit sowie zu Einschränkungen der Leistungsfähigkeit und einer verringerten Lebensqualität [1]. Gemäss Prognose der WHO zählen Depressionen bis 2030 zu den Erkrankungen mit dem grössten Ausmass an «Disability-adjusted Life Years» (DALYs*) [1,2]. Die 1-Jahres-Prävalenz einer unipolaren Depression wird in der mitteleuropäischen Allgemeinbevölkerung auf 7,7% geschätzt [1]. Die Leitsymptome sind Antriebslosigkeit, Freudlosigkeit und depressive Stimmung. Viele der Betroffenen haben Vorbehalte gegenüber Nebenwirkungen konventioneller antidepressiver Medikamente [3]. Für diese Patienten können Präparate auf der Basis eines standardisierten Johanniskrautauszuges eine valable phytotherapeutische Behandlungsalternative darstellen.

* Der Indikator «Disability-adjusted Life Years» (DALYs) erfasst die Summe der Lebensjahre, die durch Behinderung oder vorzeitigen Tod aufgrund ­einer Erkrankung verloren gehen [2].
 

Johanniskraut, seine Inhaltsstoffe und die Bedeutung von Hyperforin

Bei Johanniskraut (Hyperici herba) handelt es sich um die während der Blütezeit geernteten, getrockneten, ganzen oder zerkleinerten Triebspitzen von Johanniskraut perforatum L. aus der Familie der Hypericaceae. Johanniskrautextrakte enthalten über 150 Inhaltsstoffe, darunter Naphthodianthrone (z.B. Hypericin), Flavonoide, Bi-Flavonoide, Xanthone und Phloroglucinol (z.B. Hyperforin) [4]. Durch umfassende klinische und pharmakologische Untersuchungen kann die Wirkweise der einzelnen Inhaltsstoffe heute differenzierter betrachtet werden. Denn es konnten nicht nur viele Parallelen zwischen synthetischen Antidepressiva und Johanniskrautextrakten aufgedeckt werden. Es wurde auch nachgewiesen, dass vor allem Hypericin, Flavonoide und Hyperforin an unterschiedlichen Targets ansetzen und verschieden wirkungs­relevant agieren  [5].

Die antidepressiven Effekte von Johanniskrautextrakt in therapeutisch relevanten Dosen konnten inzwischen hauptsächlich dem Inhaltsstoff Hyperforin zugeordnet werden [5]. Unter anderem zeigten in einer empirischen Studie Hyperforin-reiche Johanniskraut-Extrakte gegenüber hyperforin-armen eine signifikante Überlegenheit in der Reduktion des HAMD-Scores im Vergleich zu Placebo bei Patienten mit einem initialen HAMD Gesamtscore ≥22 (12 Punkte vs. 6,6 Punkte) [6]. Wie synthetische Antidepressiva hemmt Hyperforin die synaptosomale Aufnahme von Serotonin, Noradrenalin und Dopamin, was zu einer Erhöhung der synaptischen Konzentrationen dieser Neurotransmitter führt [5,7]. Im Unterschied zu anderen Antidepressiva hemmt Hyperforin die synaptosomale Aufnahme der Neurotransmitter nicht durch kompetitive Bindung an die Transportermoleküle, sondern durch Erhöhung der intrazellullären Natriumkonzentration. Das zieht eine Reduktion des Natriumgradienten von extra- zu intraneuronal nach sich. Da der Natriumgradient die treibende Kraft hinter der Natrium-Kontransport vermittelten Transmitteraufnahme ist, reduziert Hyperforin auch die Aufnahme anderer Neurotransmitter wie GABA und L-Glutatmat [5]. Im Weiteren induziert Hyperforin eine vermehrte Synthese von BDFN (Brain derived neurotrophic factor), einem Marker für Neurogenese und einem zentralen Aspekt der antidepressiven pharmakologischen Kaskade [5]. Effekte auf die Neuroplastizität gelten heutzutage als der wesentliche Wirkmechanismus von Antidepressiva.

Für den Inhaltsstoff Hypericin gilt eine Beeinflussung der Hypothalamus-Hypophysennebennierenrinden-Achse (HPA) als erwiesen. Es penetriert jedoch die Blut-Hirn-Schranke nur sehr schlecht, wodurch bisher nur wenig belastende Daten hinsichtlich der antidepressiven Wirkungen generiert werden konnten [5].

Ebenfalls zur Wirkung des Gesamtextrakes tragen Flavonoide bei. In Tiermodellen konnten für einige dieser Inhaltsstoffe antidepressive Eigenschaften nachgewiesen werden. Darüber hinaus spielen sie als sehr potente Antioxidanzien bei Reduktion des oxidativen Stresses eine wichtige Rolle. Dieser ist bei Depressionen erhöht [5].

WS® 5570 wirkt bei leichten bis mittelgradigen depressiven Störungen

Der Spezialextrakt WS® 5570 wird aus Johanniskraut gewonnen und ist die Basis des in der Schweiz für leichte bis mittelschwere depressive Störungen kassenzulässigen Präparates Hyperiplant® Rx. Mehrere Studien belegen die antidepressive Wirksamkeit von WS® 5570 [8]. Gemäss einem 2017 im Journal of Affective Disorders erschienenen Review hat Johanniskraut bei Patienten mit leichten bis mittelgradigen depressiven Störungen eine vergleichbare Wirksamkeit und Sicherheit wie SSRIs [9]. In einer 2016 publizierten Studie von Seifritz et al. führte WS® 5570 bei Patienten mit einer mittelgradigen Depression nach einer Behandlungsdauer von sechs Wochen sogar zu einer stärkeren Reduktion in Depressionsscores und zu überlegenen Response- und Remissionsraten im Vergleich zu Paroxetin 20 mg [8]. Als mittelgradige Depression definiert wurde ein Baselinescore von 22–25 in der Hamilton Depres­sion Rating Scale (HAM-D). Die Patienten erhielten 3×300 mg/d WS® 5570 und in der Vergleichsgruppe Paroxetin 20 mg/d. Unter Behandlung mit dem Johanniskrautextrakt wurde nach 6 Wochen eine Remissionsrate von 64,5% erreicht, was ein hoher Wert darstellt nach diesem Zeitraum. Da eine unvollständige Remission ein Prädiktor für einen Rückfall ist, sind solche hohe Remissionswerte besonders stark zu gewichten [10,11]. Weitere Evidenznachweise für die antidepressiven Effekte von WS® 5570 liefern eine Meta-Analyse von Kasper et al. [12] für die Anwendung im Rahmen von Kurzzeittherapien, sowie mehrere Studien zur Langzeitperspektive/Erhaltungstherapie [13,14].

Wichtigste Informationen auf einen BlickJohanniskrauthaltige Arzneimittel haben in unseren Breitengraden eine lange Tradition zur Linderung von depressiven Verstimmungen [1].In der aktuellen S3-Leitlinie für die Behandlung unipolarer Depression wird Johanniskraut bei leichter bis mittelgradiger depressiver Symptomatik als Therapieoption empfohlen [1].Der Spezialextrakt WS® 5570 ist evidenzbasiert wirksam. Sowohl für die Induktions- als auch für die Erhaltungstherapie gibt es etliche empirische Wirksamkeitsnachweise [9–11]. In mehreren Studien erzielte WS®5570 vergleichbare Effekte wie SSRIs [5]. Im Vergleich zu Paroxetin erwies sich WS® 5570 hinsichtlich Reduktion der Depressionsscores und Remissionsraten als überlegen [4]Die Verträglichkeit von WS® 5570 ist im Allgemeinen gut, es sollte aber berücksichtigt ­werden, dass Hyperforin ein Interaktionspotenzial mit CYP-Enzymen aufweist [4,7]

Leitlinienbasierte Behandlung für Induktions- und Erhaltungstherapie

In der Langzeit-Erhaltungstherapie wurde eine ausgeprägte prophylaktische Wirkung von WS®5570 sowohl bei Patienten mit einem frühen Ausbruch von Depressionen als auch bei Pa­tien­ten mit einem hohen Grad an Chronizität beobachtet [15]. Vollständige Symptomremission und Rückfallprophylaxe werden in der aktuellen S3-Leitlinie zu unipolarer Depression als wichtiges Behandlungsziel festgehalten [1]. Um dies zu erreichen, wird empfohlen, die Medikation nach erfolgreicher Response bis hin zur Remission mit anschliessendem Übergang in die Erhaltungstherapie fortzusetzen. Als Kriterium für Remission gilt ein Cut-off Wert von ≤8 Punkten in der HAMD-17-item-Version [1]. Insbesondere in der Langzeittherapie ist es wichtig, dass die Medikation möglichst Nebenwirkungsfrei ist, um die Adhärenz und Compliance aufrecht zu erhalten [10,15]. Studiendaten weisen darauf hin, dass die Compliance bei Patienten unter Behandlung mit Johanniskraut im Allgemeinen höher ist als bei synthetischen Antidepressiva, entsprechend sind die Drop-out Raten geringer, was sich auf die Nachhaltigkeit therapeutischer Effekte positiv auswirkt [8]. Der positive Nutzen von Johanniskraut wird auch in den S3-Leitlinie gewürdigt mit folgender Empfehlung: «Wenn bei leichten oder mittelgradigen depressiven Episoden eine Pharmakotherapie erwogen wird, kann bei Beachtung der spezifischen Nebenwirkungen und Interaktionen ein erster Therapieversuch auch mit Johanniskraut unternommen werden.»

Gute Verträglichkeit überzeugt

Das Verträglichkeitsprofil von Johanniskraut­extrakt ist vergleichbar mit Placebo und überlegen im Vergleich zu synthetischen Antidepressiva. Sicherheitsbedenken beschränken sich vorwiegend auf das Interaktionsrisiko mit anderen Medikamenten. Aus Studien weiss man, dass eine Aktivierung der Cytochrom P450 (CYP)-Enzyme und von P-glycoprotein (P-GP) induziert wird, welche in die Metabolisierung vieler Arzneimittel involviert sind und zu einer Beeinflussung der Plasmaspiegel entsprechender Wirkstoffe führen kann [16]. In der S3-Leitlinie wird darauf hingewiesen, dass die Patienten aufgeklärt werden sollten über das Interaktions­potenzial von Johanniskraut mit anderen Medikamenten (einschliesslich oraler Kontrazeptiva, Antikoagulantien und Antiepileptika) [8].

Quelle: Schwabe Pharma AG 
 

Literatur:

  1. DGPPN: S3-Leitlinie/Nationale Versorgungs-Leitlinie Unipolare Depression; Langfassung, 2. Auflage, 2015, Version 5 AWMF-Register-Nr.: nvl-005, www.awmf.org
  2. World Health Organization (WHO). The global burden of disease. 2004 Update. Geneva: 2004, www.who.int/healthinfo/global_burden_disease/GBD_report_2004update_full.pdf
  3. Kasper S, et al.: Efficacy and tolerability of Johanniskraut extract for the treatment of mild to moderate depression. European Neuropsychopharmacology 2010; 20 (11) 747–765.
  4. Linde K, et al.: St John’s wort for major depression. Cochrane Database Syst Rev 2008;CD000448.
  5. Müller WE, Schubert-Zsilavecz, Friedland K. Der eine Unterschied. Johanniskrautpräparate in der Therapie von Depressionen. DAZ 2020; 27:70–76.
  6. Laakmann G, et al.: St. John’s wort in mild to moderate depression: the relevance of hyperforin for the clinical efficacy. Pharmacopsychiatry 1998; 31(Suppl. 1): 54–59.
  7. Muller WE: Current St John’s wort research from mode of action to clinical efficacy. Pharmacol Res 2003; 47(2): 101–109.
  8. Seifritz E, Hatzinger M, Holsboer-Trachsler E: Efficacy of Johanniskraut extract WSVR 5570 compared with paroxetine in patients with a moderate major depressive episode – a subgroup analysis. International Journal of Psychiatry in clinical practice 2016; 20(3): 126–132.
  9. Ng QX, et al.: Clinical use of Johanniskraut perforatum (St John’s wort) in depression: A meta-analysis. Journal of Affective Disorders Volume 210, 1 March 2017, Pages 211–221
  10. Kasper S, et al.: Better tolerability of St. John’s wort extract WS 5570 compared to treatment with SSRIs: a reanalysis of data from controlled clinical trials in acute major depression. Int Clin Psychopharmacol 2010; 25(4): 204–213.
  11. Mendlewicz J: Towards achieving remission in the treatment of depression. Dialogues Clin Neurosci 2008; 10(4): 371–375.
  12. Kasper S, et al.: Efficacy of St. John’s wort extract WS 5570 in acute treatment of mild depression: a reanalysis of data from controlled clinical trials. Eur Arch Psychiatry Clin Neurosci 2008; 258(1): 59–63.
  13. Kasper S, et al.: Placebo Controlled Continuation Treatment with Hypericum Extract WS 5570 After Recovery from a Mild or Moderate Depressive Episode, Wiener Med Wochenschrift 2007; 157(13–14): 362–366.
  14. Kasper S, et al.: Continuation and long-term maintenance treatment with Hypericum extract WS 5570 after recovery from an acute episode of moderate depression – a double-blind, randomized, placebo controlled long-term trial. Eur Neuropsychopharmacol 2008; 18(11): 803–813.
  15. Anghelescu IG, et al.: Comparison of Hypericum extract WS 5570 and paroxetine in ongoing treatment after recovery from an episode of moderate to severe depression: results from a randomized multicenter study. Pharmacopsychiatry 2006; 39(6): 213–219.
  16. Russo E, et al. : Hypericum perforatum: pharmacokinetic, mechanism of action, tolerability, and clinical drug-drug interactions. Phytother Res 2014; 28(5): 643–655.

InFo NEUROLOGIE & PSYCHIATRIE 2020; 18(6): 38–39

Mirjam Peter, M.Sc.

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