Die Therapielandschaft bei chronisch entzündlichen Darmerkrankungen (CED) hat sich in den letzten Jahren stark erweitert. Dadurch werden immer ehrgeizigere Therapieziele realistisch [1]. Doch lohnt es sich, diese stetig zu verschärfen und welche potenziellen Risiken sind damit verbunden? Diesen Fragen ging Prof. Raja Atreya am IBDnet Postgraduate Course auf den Grund.

Der IBDnet Postgraduate Course fand vom 1. bis zum 3. Dezember 2022 bereits zum 8. Mal statt – diesmal wieder vor Ort im Kongresszentrum Wolfsberg in Ermatingen. Die Teilnehmenden konnten von einem interaktiven Programm rund um die neuesten Entwicklungen und Trends im Bereich CED profitieren. Mit Fokus auf die tägliche klinische Praxis teilten lokale CED-Experten sowie international renommierte Referenten ihre Erfahrungen und ihr Wissen. So auch Prof. Raja Atreya vom Universitätsklinikum Erlangen, der in seinem Vortrag im Rahmen des AbbVie-Symposiums das Nutzen-Risiko-Verhältnis zielgerichteter Therapien bei Morbus Crohn (MC) und Colitis Ulcerosa (CU) genauer beleuchtete.

Komplikationen durch wirksame Therapien verhindern
MC gilt als progressive Erkrankung und ist mit zunehmenden Komplikationen, wie strukturellen Darmschäden – Strikturen, Fisteln und Abszessen – sowie Operationen assoziiert. Die Ursache hierfür lässt sich in unkontrollierten Entzündungsprozessen finden. Selbst in klinischer Remission, also wenn die Betroffenen praktisch symptomfrei sind, bleibt häufig eine subklinische entzündliche Aktivität bestehen und die Krankheit schreitet fort [2].
Prof. Atreya betonte: «Die Sicherheit und die Wirksamkeit einer Therapie hängen stärker zusammen als zunächst anzunehmen. Je besser wir unsere Patientinnen und Patienten behandeln, umso erfolgsversprechender können wir die Krankheitsaktivität modifizieren und so Komplikationen verhindern.»
Und nicht nur MC, auch  CU kann sich progressiv zeigen und Komplikationen mit sich bringen [3]. So gehören der Schweregrad und die Dauer der Entzündung zu den Hauptrisikofaktoren für Colitis-assoziierten kolorektalen Krebs [4] – gemäss Prof. Atreya ein weiterer Grund für eine Behandlung. Tatsächlich ist die grösste Angst von CU-Betroffenen laut einer Umfrage (N = 460), an Darmkrebs zu erkranken (37 %) [5].

Hohe Krankheitsaktivität – das grösste Sicherheitsrisiko bei CED
Wird eine zielgerichtete Behandlung erwogen, haben Patientinnen und Patienten Prof. Atreyas Erfahrungen nach oft Sicherheitsbedenken. Dass das grösste Sicherheitsrisiko für die Betroffenen jedoch neben einer Steroidtherapie eine unkontrollierte Krankheitsaktivität darstellt, zeigte der Gastroenterologe eindrücklich anhand einer Reihe von Studienergebnissen:

  • In einer retrospektiven, populationsbasierten Kohortenstudie ging MC mit einer erhöhten Mortalität einher. Die Haupttodesursachen waren Infektionen, parasitäre Erkrankungen und Sepsis, welche auch bei CU-Patientinnen und -Patienten zu den häufigsten Todesursachen zählten [6].
  • In der 5-Jahres-Analyse der TREAT-Registerstudie wiesen MC-Patientinnen und Patienten, die Infliximab (HR = 0,83) oder Immunmodulatoren (HR = 0,86) erhalten hatten, keine erhöhte Mortalität auf, wohl aber diejenigen, die mit Steroiden (HR = 2,14) behandelt worden waren. Zudem war eine moderate bis sehr hohe Krankheitsaktivität sowohl mit einer erhöhten Mortalität (HR = 1,61) als auch mit dem Auftreten schwerwiegender Infektionen (HR = 2,24) assoziiert [7].
  • Die Ergebnisse verschiedener Meta-Analysen und populationsbasierten Kohortenstudien weisen darauf hin, dass CED mit einem gesteigerten Risiko für venöse Thromboembolien (VTE), für ischämische Herzerkrankung im ersten Jahr nach der Diagnose und für alle akuten arteriellen Ereignisse einhergeht, was jeweils mit einer erhöhten Krankheits- bzw. Entzündungsaktivität in Verbindung gebracht werden kann [8-10].
  • In einer grossangelegten dänischen populationsbasierten Kohortenstudie mit 20’795 Personen mit CED und 199’978 Kontrollpersonen war das Risiko für Herzinfarkt, Schlaganfall und kardiovaskulären Tod während CED-Schüben und in Phasen anhaltender Krankheitsaktivität im Vergleich zu Phasen der Remission signifikant erhöht [11].

Infektionsrisiko unter biologischen Therapien [12, 13]
Das Risiko schwerwiegender Infektionen kann unter einer Behandlung mit TNF-Inhibitoren langfristig abnehmen, wie die kürzlich publizierten Ergebnisse einer schwedischen retrospektiven Kohortenstudie mit 980 CED-Patientinnen und -Patienten zeigen. So lag die Inzidenzrate schwerwiegender Infektionen im Jahr vor dem Behandlungsstart mit einem ersten TNF-Inhibitor bei 2,19 pro 100 Patientenjahre und war im Jahr danach noch fast unverändert bei 2,11. Mehr als ein Jahr nach Therapiebeginn war das Auftreten schwerwiegender Infektionen jedoch signifikant auf eine Inzidenzrate von 0,56 gesunken [12] – wahrscheinlich aufgrund der durch die Therapie abnehmenden Krankheitsaktivität, so die Einschätzung des Experten. Ein Zusammenhang zwischen einer biologischen Behandlung und einem verminderten Infektionsrisiko wurde auch für Vedolizumab beobachtet: In einer integrierten Sicherheitsanalyse mit über 3’000 CED-Patientinnen und -Patienten waren Infektionen insgesamt, Infektionen der oberen Atemwege und Infektionen der unteren Atemwege sowie der Lunge pro 100 Patientenjahre unter dem α4β7-Integrin-Inhibitor deutlich seltener als unter Placebo [13].

CED-Management: Maximale Benefits bei minimalem Risiko
Bei der therapeutischen Entscheidungsfindung ist es entscheidend, ein optimales Benefit-Risiko-Verhältnis zu finden. Prof. Atreya: «Beim Start einer neuen Behandlung erkläre ich meinen Patientinnen und Patienten, dass die potenziellen Risiken der Therapie den manifesten Risiken einer unkontrollierten Krankheitsaktivität gegenüberstehen (Abbildung 1).»

Abbildung 1: Potenzielle Benefits und Risiken, die bei der therapeutischen Entscheidungsfindung beachtet werden sollten. HEMI: Histo-Endoscopic Mucosal Improvement. Adaptiert nach [14, 15].

Stringentere Therapieziele ermöglichen bessere Outcomes [16, 17]
Mit der Entwicklung zielgerichteter Therapien haben sich auch die Behandlungsziele bei CED weiterentwickelt. So soll gemäss den aktuellen STRIDE II-Empfehlungen eine langfristige endoskopische Remission angestrebt werden [1]. Ob es sich lohnt, die Kriterien zur Beurteilung des Therapieansprechens immer weiter zu verschärfen, hängt gemäss Prof. Atreya davon ab, ob in prospektiven Studien belegt wird, dass damit die Krankheitsaktivität modifiziert werden kann.  

In einem Follow-up der CALM-Studie mit 122 MC-Patientinnen und -Patienten erlitten diejenigen, die nach einem Jahr eine endoskopische oder tiefe Remission (definiert als Crohn’s Disease Activity Index [CDAI] < 150, Crohn’s Disease Endoscopic Index of Severity [CDEIS] < 4 ohne tiefe Ulzerationen und keine Steroide über ≥ 8 Wochen) erzielt hatten, über einen medianen Zeitraum von drei Jahren mit signifikant geringerer Wahrscheinlichkeit eine Krankheitsprogression als diejenigen, die diese Therapieziele nach einem Jahr nicht erreicht hatten. Dabei ging eine tiefe Remission mit einer noch stärkeren Risikoreduktion für Progression einher als eine endoskopische Remission (HR 0,23 [95 % KI: 0,09–0,32] vs. 0,46 [95 % KI: 0,31–0,60]) [16]. Darüber hinaus war mukosale Heilung bei MC in einer Meta-Analyse mit langfristiger klinischer Remission assoziiert [18].

Und auch bei CU können striktere Therapieziele das Outcome langfristig verbessern: Gemäss einer weiteren Meta-Analyse war das 12-Monats-Risiko für klinische Rezidive bei Betroffenen mit endoskopischer Remission um 52 % geringer als bei denjenigen mit einer lediglich klinischen Remission. Lag zusätzlich eine histologische Remission vor, sank dieses Risiko um weitere 63 % [17].

Fazit
Wie können wir also die Sicherheit von Patientinnen und Patienten garantieren?
«Letztendlich müssen wir Therapieentscheidungen basierend auf den individuellen Risikoprofilen der Betroffenen treffen. Es gibt nicht den MC-Patienten oder die CU-Patientin», betonte Prof. Atreya zum Ende seines Vortrags und resümierte: «Wirksame Therapien sind sichere Therapien, denn sie modifizieren die Krankheitsaktivität, vermindern Entzündungen und verbessern so nicht nur die Lebensqualität der Patientinnen und Patienten, sondern reduzieren auch das Risiko krankheitsassoziierter Komplikationen.» 

Quelle: AbbVie Lunch Symposium: «Benefit risk assessment in IBD: Are my therapy goals worth it?» beim 8. IBDnet Postgraduate Course am 2. Dezember 2022 in Wolfsberg/Ermatingen.

Literatur
1.              Turner D et al. STRIDE-II: An Update on the Selecting Therapeutic Targets in Inflammatory Bowel Disease (STRIDE) Initiative of the International Organization for the Study of IBD (IOIBD): Determining Therapeutic Goals for Treat-to-Target strategies in IBD. Gastroenterology, 2021. 160(5): p. 1570-1583.
2.              Pariente B et al. Development of the Crohn’s disease digestive damage score, the Lémann score. Inflamm Bowel Dis, 2011. 17(6): p. 1415-22.
3.              Torres J et al. Ulcerative colitis as a progressive disease: the forgotten evidence. Inflamm Bowel Dis, 2012. 18(7): p. 1356-63.
4.              de Campos Silva EF et al. Risk factors for ulcerative colitis-associated colorectal cancer: A retrospective cohort study. Medicine (Baltimore), 2020. 99(32): p. e21686.
5.              Thompson KD et al. Patients with Ulcerative Colitis Are More Concerned About Complications of Their Disease than Side Effects of Medications. Inflamm Bowel Dis, 2016. 22(4): p. 940-7.
6.              Hutfless SM et al. Mortality by medication use among patients with inflammatory bowel disease, 1996-2003. Gastroenterology, 2007. 133(6): p. 1779-86.
7.              Lichtenstein GR et al. Serious infection and mortality in patients with Crohn’s disease: more than 5 years of follow-up in the TREAT™ registry. Am J Gastroenterol, 2012. 107(9): p. 1409-22.
8.              Kirchgesner J et al. Increased risk of acute arterial events in young patients and severely active IBD: a nationwide French cohort study. Gut, 2018. 67(7): p. 1261-1268.
9.              Rungoe C et al. Risk of ischaemic heart disease in patients with inflammatory bowel disease: a nationwide Danish cohort study. Gut, 2013. 62(5): p. 689-94.
10.            Yuhara H et al. Meta-analysis: the risk of venous thromboembolism in patients with inflammatory bowel disease. Aliment Pharmacol Ther, 2013. 37(10): p. 953-62.
11.            Kristensen SL et al. Disease activity in inflammatory bowel disease is associated with increased risk of myocardial infarction, stroke and cardiovascular death–a Danish nationwide cohort study. PLoS One, 2013. 8(2): p. e56944.
12.            Holmgren J et al. The Risk of Serious Infections Before and After Anti-TNF Therapy in Inflammatory Bowel Disease: A Retrospective Cohort Study. Inflamm Bowel Dis, 2022.
13.            Colombel JF et al. The safety of vedolizumab for ulcerative colitis and Crohn’s disease. Gut, 2017. 66(5): p. 839-851.
14.            Raine T et al. ECCO Guidelines on Therapeutics in Ulcerative Colitis: Medical Treatment. J Crohns Colitis, 2022. 16(1): p. 2-17.
15.            Rubin DT et al. ACG Clinical Guideline: Ulcerative Colitis in Adults. Am J Gastroenterol, 2019. 114(3): p. 384-413.
16.            Ungaro RC et al. Deep Remission at 1 Year Prevents Progression of Early Crohn’s Disease.Gastroenterology, 2020. 159(1): p. 139-147.
17.            Yoon H et al. Incremental Benefit of Achieving Endoscopic and Histologic Remission in Patients With Ulcerative Colitis: A Systematic Review and Meta-Analysis. Gastroenterology, 2020. 159(4): p. 1262-1275.e7.
18.            Shah SC et al. Systematic review with meta-analysis: mucosal healing is associated with improved long-term outcomes in Crohn’s disease. Aliment Pharmacol Ther, 2016. 43(3): p. 317-33.

Die Referenzen können durch Fachpersonen bei medinfo.ch@abbvie.com angefordert werden.
Mit finanzieller Unterstützung durch AbbVie AG, Alte Steinhauserstrasse 14, 6330 Cham.
CH-HUMG-230002_01/2023

Beitrag online seit 06.02.2023

Dr sc. nat. Jennifer Keim

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