Die weltweite Diabetes-Gemeinschaft traf sich in Stockholm, um von den neuesten Forschungsergebnissen und Innovationen auf dem Gebiet des Diabetes zu profitieren. Im Rahmen der 58. Jahrestagung der European Association for the Study of Diabetes stand das Körpergewicht im Fokus der Betrachtung. Aber auch Erkenntnisse über den Zusammenhang von Typ-1-Diabetes und Enteroviren wurden diskutiert.
Der Body-Mass-Index (BMI) als Einheit zur Einteilung des Körpergewichts steht immer wieder in der Diskussion. Neue Erkenntnisse zeigen, dass vor allem für die Risikoeinschätzung bzgl. Übergewicht und Adipositas alternative Masse zu bevorzugen sind. Dafür wurde im Vereinigten Königreich ein direkter Vergleich des Verhältnisses von Taille zu Hüfte (WHR), des Body-Mass-Index (BMI) und des Fettmasse-Index (FMI) bei insgesamt mehr als 380’000 Einwohnern durchgeführt. Es konnte gezeigt werden, dass der WHR im Vergleich zu den beiden anderen Massen die stärkste und konsistenteste Beziehung zum Gesamttod aufweist. Das deutet darauf hin, dass Kliniker bei der Festlegung von Prioritäten für Adipositas-Interventionen der Adipositas-Verteilung mehr Aufmerksamkeit schenken sollten als dem BMI.
Länger leben dank Vollkorn
Die Ergebnisse einer systematischen Übersichtsarbeit und Meta-Analyse haben ans Licht gebracht, dass ein höherer Verzehr von Vollkornprodukten, Fisch, Ballaststoffen und mehrfach ungesättigten Omega-3-Fettsäuren die Sterblichkeit bei Menschen mit Typ-2-Diabetes senkt. Der Verzehr von rund 20 g Vollkornprodukte wie Vollkornbrot, Vollkornreis oder Frühstückscerealien pro Tag war mit einer Senkung der Gesamtmortalität um 16% verbunden. Jede Portion Fisch, die pro Woche verzehrt wurde, verringerte das Risiko für die Gesamtmortalität um 5%. Der Verzehr von täglich 5 g Ballaststoffen wurde mit einer 14%igen Verringerung der Gesamtmortalität in Verbindung gebracht, 0,1 g mehrfach ungesättigte Omega-3-Fettsäuren pro Tag mit einer 13%igen Verringerung.
Langzeit Glukose-Monitoring für alle Diabetiker?
Die kontinuierliche Glukoseüberwachung (CGM) ist bisher überwiegend Betroffenen mit Typ-1-Diabetes oder Menschen mit Typ-2-Diabetes, die einer intensiven Insulintherapie unterliegen, vorbehalten. Nun wurde diskutiert, ob sie auch für alle Diabetes-Patienten sinnvoll sein könnte. Die Vorteile bei Typ-1-Diabetes sind inzwischen umfangreich belegt. Aktuelle Ergebnisse zeigen bei 156 Teilnehmern mit einem durchschnittlichen Ausgangswert des Blutzuckerspiegels von 8,6% nach 24 Wochen eine um 0,5 Prozentpunkte stärkere Senkung mit Hilfe des CGM als mit der üblichen Messung am Finger. Eine im Januar veröffentlichte 7-Jahres-Follow-up-Studie bestätigte, dass die Einführung von CGM innerhalb eines Jahres nach der Diagnose von Typ-1-Diabetes zu einem verbesserten Langzeit-HbA1c-Wert führt, verglichen mit einem späteren oder gar keinem Beginn.
Auch bei Patienten mit Typ-2-Diabetes konnte der Blutzucker mit CGM gesenkt werden, wenn die Betroffenen täglich mehrere Insulininjektionen erhielten. Zudem verbesserte in einer einarmigen Studie mit Erwachsenen mit Typ-2-Diabetes, die nur mit Basalinsulin oder mit einer Therapie ohne Insulin behandelt wurden, die sechsmonatige Anwendung von CGM die Messzeit und den HbA1c-Wert signifikant – unabhängig von der Anzahl der Medikamente, die die Patienten einnahmen. Ebenso zeigten Real-world-Daten bei 1440 Erwachsenen mit Typ-2-Diabetes ohne intensive Insulintherapie, dass CGM zu einer signifikanten Verringerung des HbA1c-Wertes, des BMI sowie schwerer Hypoglykämien führte. Es gibt immer mehr Belege dafür, dass CGM auch die Blutzuckereinstellung bei Typ-2-Diabetes unter weniger intensiver Hypoglykämietherapie verbessert. Es ist daher zu erwarten, dass der Einsatz von CGM in dieser Patientengruppe zunehmen wird.
Typ-1-Diabetes und Enteroviren
Enteroviren sind eine grosse Familie von Viren, die im Verdauungstrakt leben und für viele Infektionen bei Kindern verantwortlich sind. Es gibt mehr als 70 verschiedene Stämme, darunter u.a. die Coxsackieviren der Gruppen A und B, die Polioviren und das Hepatitis-A-Virus. Neue Forschungsergebnisse zeigen nun, dass eine Enterovirus-Infektion sowohl mit Typ-1-Diabetes als auch mit Inselzell-Autoantikörpern in engem Zusammenhang zu stehen scheint. Die Analyse konzentriert sich dabei auf Studien, bei denen modernere molekulare Techniken zum Nachweis von Viren eingesetzt werden, einschliesslich Hochdurchsatz-Sequenzierung und Einzelzelltechnologien. Bei der Analyse wurden 60 Studien mit insgesamt 12’077 Teilnehmern identifiziert, von denen 900 an einer Autoimmunität der Inselzellen, 5081 an Typ-1-Diabetes und 6096 an einer Kontrollgruppe litten. Der Zusammenhang zwischen einer Enterovirus-Infektion und einer Autoimmunität der Inselzellen war bei Personen, die später an Typ-1-Diabetes erkrankten, mit einer Odds Ratio von 5,1 gegenüber 2,0 bei denjenigen, die keinen Diabetes entwickelten, grösser. Die Stärke des Zusammenhangs, insbesondere innerhalb des ersten Monats nach der Diagnose von Typ-1-Diabetes, untermauert die Gründe für die Entwicklung von Enterovirus-gerichteten Impfstoffen und antiviralen Therapien zur Vorbeugung und Verringerung der Auswirkungen von Typ-1-Diabetes. Die Ergebnisse werfen zudem die Frage auf, ob Menschen zum Zeitpunkt der Diagnose von Typ-1-Diabetes routinemässig auf Enteroviren getestet werden sollten.
Kongress: EASD 2022
CARDIOVASC 2022; 21(4): 44