Forschende am IST Austria behandeln Pflanzen mit Schmerzmitteln und gewinnen so neue Erkenntnisse über das Pflanzenwachstum. Neue Studie in Cell Reports veröffentlicht.
Jahrhundertelang haben Menschen Weidenrinde zur Behandlung von Kopfschmerzen oder entzündeten Zähnen verwendet. Später wurden aus dem darin enthaltenen Wirkstoff, dem Pflanzenhormon Salizylsäure, Schmerzmittel wie Aspirin entwickelt. Doch was passiert, wenn Pflanzen mit diesen Schmerzmitteln behandelt werden? Forschende am Institute of Science and Technology (IST) Austria entdeckten eine unerwartete Bioaktivität der Humanarzneimittel in Pflanzen. Ihre Studie ist soeben in der Fachzeitschrift Cell Reports erschienen.
Wenn Krankheitserreger in eine Pflanze eindringen, lösen infizierte Zellen Alarm aus, bevor sie absterben. Sie schütten Methylsalicylsäure aus, die später in Salicylsäure umgewandelt wird und eine Reaktion des Immunsystems auslöst. Salicylsäure ist also ein pflanzliches Stresssignal, sie ist aber auch an der Regulierung des Wachstums und der Entwicklung von Pflanzen beteiligt. Auch für Säugetiere hat sich die Salicylsäure als nützlich erwiesen: Schon in prähistorischen Zeiten haben Menschen erkannt, dass sie mithilfe von Weidenrindentee und anderen Weidenrinden-Präparaten Fieber senken und Schmerzen lindern können. Jahrhunderte später entwickelten Forschende aus dem ursprünglichen Wirkstoff Medikamente wie Aspirin und Ibuprofen. Diese so genannten nicht-steroidale Entzündungshemmer unterdrücken die Entzündungsreaktion von Säugetierzellen und sorgen so dafür, dass wir uns bei Erkältungen besser fühlen. Aber wie wirken sie auf Pflanzen?
Orientierungslos
„Als ich auf die Idee gekommen bin, hatte ich wirklich starke Zahnschmerzen und ich hatte Ibuprofen zu Hause”, erklärt Shutang Tan, damals Doktorand in der Gruppe von Professor Jiří Friml am Institute of Science and Technology (IST) Austria. „Ich habe einfach die Tabletten aus der Apotheke verwendet und dabei die gleiche Menge wie in meinen früheren Experimenten mit Salicylsäure genommen. Dann habe ich die Wirkung des Ibuprofens auf die Arabidopsis-Keimlinge beobachtet.” Verglichen mit einer Kontrollgruppe waren die Hauptwurzeln der so behandelten Pflanzen deutlich kürzer und rollten sich zusammen, statt nach unten zu wachsen – sie konnten nicht mehr auf die Schwerkraft reagieren. Außerdem entwickelten die Keimlinge weniger oder gar keine Seitenwurzeln.
Gemeinsam mit KollegInnen am IST Austria und sechs weiteren Forschungseinrichtungen untersuchte Shutang Tan die Auswirkungen von rund 20 verschiedenen Schmerzmitteln auf Arabidopsis-Keimlinge. „Wir haben festgestellt, dass alle von uns getesteten Schmerzmittel, darunter Aspirin und Ibuprofen, den Auxinfluss in den Pflanzen stören”, erklärt Tan. Das Pflanzenhormon Auxin ist grundlegend für alle Entwicklungsprozesse einer Pflanze, insbesondere für ihre Fähigkeit, die Blätter der Sonne zuzuwenden und die Wurzeln Richtung Erdmittelpunkt zu strecken. So genannte PIN-Proteine regulieren den Auxinfluss von einer Zelle zur nächsten. Dabei ist entscheidend, auf welcher Seite der Zelle sie sitzen. Befinden sie sich an der falschen Stelle, wird der Auxinfluss gestört und die Pflanze kann sich nicht richtig entwickeln. Alles deutete also darauf hin, dass die Schmerzmittel die PIN-Proteine darin hinderten, ihre Position zu erreichen. Doch damit nicht genug.
Komplexe Dynamik innerhalb von Pflanzenzellen
Die WissenschaftlerInnen stellten fest, dass die Medikamente in das gesamte Endomembransystem eingreifen und so die Bewegung und den Transport von Substanzen innerhalb der Zellen stören. Sie beeinträchtigen die Dynamik des Cytoskeletts, einem Netzwerk aus Proteinen, das unter anderem an der Aufnahme von extrazellulärem Material beteiligt ist und der Zelle ihre Form gibt. Gemeinsam mit einem Team der schweizerischen Universität Fribourg, entdeckten die Forschenden am IST Austria, dass eine Gruppe von Schmerzmitteln, wie etwa Meclofenaminsäure und Flufenaminsäure, direkt auf ein bestimmtes Protein abzielen. Dieses TWISTED DWARF1 genannte Protein führt infolge zu den beobachteten physiologischen und zellulären Veränderungen.
Darüber hinaus konnten die WissenschaftlerInnen zeigen, dass nicht-steroidale Entzündungshemmer ähnlich wirken wie sogenannte Auxin-Transport-Inhibitoren – wichtige chemische Werkzeuge in der Zellbiologie, die den Auxinfluss stören. „Es wäre sehr interessant zu erfahren, ob diese Auxin-Transport-Inhibitoren auch als Schmerzmittel bei Tieren eingesetzt werden könnten. Das ist eine wichtige Frage, die wir noch beantworten müssen”, so Tan. Zusammen mit IST-Professor Jiří Friml will Shutang Tan, der zurzeit sein eigenes Labor an der University of Science and Technology of China aufbaut, untersuchen, auf welche weiteren Proteine die Schmerzmittel abzielen.
Quelle:
Shutang Tan, Martin Di Donato, Matouš Glanc, Xixi Zhang, Petr Klima, Noel Ferro, Aurélien Bailly, Jan Petrášek, Markus Geisler, and Jiří Friml*. Non-steroidal anti-inflammatory drugs target TWISTED DWARF1-regulated actin dynamics and auxin transport-mediated development in plants. Cell Reports. DOI: https://doi.org/10.1016/j.celrep.2020.108463.