Forscher haben die zellulären Mechanismen zu Beginn einer entzündlichen Lungenschädigung, ausgelöst durch eine SARS-CoV-2-Infektion, im Detail untersucht. Verantwortlich für Schäden, die eine Beatmung notwendig machen, ist demnach nicht eine direkte Zerstörung der Lunge durch die Vermehrung des Virus. Vielmehr sind entzündliche Prozesse und das Endothel der Lunge massgeblich an schweren Verläufen beteiligt.

Seit eineinhalb Jahren versuchen Forschende auf der ganzen Welt, die durch das Coronavirus SARS-CoV-2 verursachte Erkrankung COVID-19 zu verstehen. Bis heute gibt es nahezu keine Medikamente zur Behandlung der Krankheit. Eine der Hürden: COVID-19 wird unter anderem durch eine fehlgeleitete, mitunter überschiessende Reaktion des körpereigenen Immunsystems verursacht. Um therapeutische Angriffspunkte zu finden, ist es notwendig, im Detail zu verstehen, wie und wo genau welche nachteiligen Prozesse im Körper ausgelöst werden. Die patientenzentrierte Forschung stösst hierbei an Grenzen – vor allem wenn es darum geht, in der frühen Phase der Infektion Krankheitsmechanismen zu untersuchen. Biomaterial als Grundlage für Studien ist in der Regel erst nach Aufnahme in einem Krankenhaus zugänglich. Bei leichten oder mittelschweren Verläufen, verbunden mit einer Lungenentzündung, kann meist gar kein Gewebe aus der Lunge gewonnen werden – zu hoch wäre das Risiko für akut Erkrankte. Was bleibt, ist die Analyse von Zellgewebe nach dem Tod von COVID-19-Patienten.

Anhand verfügbarer Patientenproben konnte das Team um Prof. Dr. Martin Witzenrath, Stellvertretender Direktor der Medizinischen Klinik mit Schwerpunkt Infektiologie und Pneumologie der Charité, wertvolle Informationen über Mechanismen und Verlauf der Erkrankung gewinnen. Um darüber hinaus Lungenareale zu untersuchen, die sich bei Patientinnen und Patienten nicht ohne Weiteres betrachten lassen und Einblicke in die Frühphase der Erkrankung zu erhalten, war das Forschungsteam auf der Suche nach einem geeigneten Modell. In der internationalen COVID-19-Forschung wie auch bei der Erforschung des SARS-CoV-1 haben sich Hamstermodelle als aufschlussreich erwiesen. «Wir wollten wissen, ob die Modelle zur Entwicklung neuer Therapieansätze herangezogen werden können und haben versucht, Erkenntnisse aus Proben von Patienten darin wiederzufinden», sagt Prof. Witzenrath. «Unser Interesse galt dabei insbesondere den Endothelzellen der Lunge, also der Barriere, die die Blutgefässe auskleidet. Diese verliert bei schwerem COVID-19 an Funktion, wodurch es schlussendlich zum Lungenversagen kommt.»

Tiermodell mit Hamstern

Die Wissenschaftler haben in ihrer aktuellen Arbeit eine genaue Charakterisierung der SARS-CoV-2-Infektion im Tiermodell vorgenommen und diese mit Datensätzen aus Proben von Patienten untermauert. Die Analyse soll das derzeit wichtigste nicht-transgene Modell für COVID-19, den Goldhamster, zur Entwicklung von Therapien nutzbar machen. Hamster infizieren sich mit denselben Virusvarianten wie Menschen. Auch entwickeln sie ähnliche Krankheitssymptome, und ihre Lunge wird bei einer schweren Erkrankung geschädigt. Dabei verläuft COVID-19 bei einzelnen Arten unterschiedlich. Während sie bei Goldhamstern in der Regel nur einen moderaten Verlauf nimmt, erkranken Roborovski-Zwerghamster schwer.

Während das Immunsystem im Zuge einer COVID-19-Erkankung in Aufruhr gerät, vermehrt sich SARS-CoV-2 in der Lunge und in den Zellen der Atemwege zunächst nur schwach. «Die Zerstörung des Lungengewebes bei schweren COVID-19-Verläufen wird nicht direkt durch die Vermehrung des Virus in den Zellen verursacht, sondern durch die starke Entzündungsreaktion», erklärt MDC-Wissenschaftler Dr. Emanuel Wyler. «Das scheint auf die Zellen der Blutgefässe, insbesondere die Endothelzellen in der Lunge, ebenfalls zuzutreffen. Sie reagieren stark auf das Virus, werden aber nicht von ihm infiziert und gehen nicht zugrunde.» Nimmt die Krankheit einen schweren Verlauf, können verschlossene Blutgefässe und instabile Gefässwände zu einem akuten Lungenversagen ­führen.

Modell soll helfen, Therapien zu entwickeln

Bei moderaten COVID-19-Erkrankungen dagegen spielen Gefässschäden sehr wahrscheinlich keine Rolle. «Dass das Endothel bei COVID-19 aktiviert wird, hatten wir erwartet. Dass diese Zellen zugleich aktiver Motor der Entzündung sind, hat uns eher überrascht», sagt Prof. Witzenrath. Man könne demnach auf zwei Arten therapeutisch an diesen für den Krankheitsverlauf zentralen Zellen angreifen: Zum einen mit Substanzen, die die Endothelbarriere abdichten. Zum anderen mit solchen, die das Endothel beruhigen. Eine davon sei bereits erforscht und es konnte gezeigt werden, dass sie bei Pneumonie und Beatmung erfolgreich ist. Aktuell ebenfalls getestete entzündungshemmende Medikamente gegen COVID-19 setzen an der Immunreaktion als solches an – sie wirken auch auf Monozyten und Makrophagen und bremsen ihre Aktivität.

Das nun bestätigte Modell soll zur Entwicklung von wirksamen und sicheren Therapien bei COVID-19 beitragen. Ziel ist es, die Zahl von Patienten mit schweren Lungenschäden zu reduzieren. Derzeit analysiert das multidisziplinäre Forschungsteam die Reaktionen der unterschiedlichen Zellarten im Roborovski-Zwerghamster. Die Forschenden wollen herausfinden, warum die Infektion hier schwerer verläuft und nicht selbstlimitierend ist wie im Fall des Goldhamsters.

Quelle: Charité, MDC und Freie Universität Berlin (D)

Literatur:

  1. Nouailles G, Wyler E, Pennitz P, et al.: Temporal omics analysis in Syrian hamsters unravel cellular effector responses to moderate COVID-19. Nat Commun 2021; 12: 4869; doi: 10.1038/s41467-021-25030-7.0.

InFo PNEUMOLOGIE & ALLERGOLOGIE 2021; 3(3): 36

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