Schätzungsweise ein bis zwei Prozent der Erwachsenen in Deutschland haben eine Gefässaussackung im Gehirn, ein sogenanntes Aneurysma. Platzt dieses Aneurysma, handelt es sich um einen lebensbedrohlichen Notfall. Hier ist interdisziplinäre Teamarbeit gefragt. Ein besonderer Fokus, der auf der diesjährigen Arbeitstagung gelegt wurde. Darüber hinaus wurde auch der Frage nachgegangen, welche Teile dieser Behandlung auf entsprechend ausgerüste­ten und geschulten Neuro-Intensivstationen durchgeführt werden müssen.

Insbesondere der demografische Wandel und Umweltfaktoren nehmen auch jetzt schon absehbar Einfluss auf die Anzahl der Patienten, die neurointensivmedizinisch versorgt werden müssen, sagen Dr. Julian Zimmermann und Dr. Felix Lehmann, Tagungssekretäre der ANIM 2023, weshalb auch dies eines der Haupthemen des Kongresses war. Es ist eine besondere Herausforderung, die Strukturen intensivmedizinischer Versorgung für neurologische und neurochirurgische Patienten schnell und nachhaltig zu optimieren. Kongresspräsident Prof. Dr. med. Hartmut Vatter ergänzte: «Hier ist natürlich ganz erheblich der massive Bettendruck im Rahmen der COVID-Pandemie Motor und Denkanstoss gewesen. Trotz Bettendruck bleibt die Frage, wie spezifisch die Neurointensivmedizin innerhalb der Intensivmedizin ist und welche Anteile davon strukturell belassen werden müssen beziehungsweise inwieweit sie auch durch eine internistische oder eine rein anästhesiologische Intensivmedizin abgedeckt werden können.» Dabei sind zwei Aspekte relevant – zum einen die Krankheitsbilder selbst und zum anderen deren zeitlicher Verlauf. In der ersten Phase einer Subarachnoidalblutung, eines Schlaganfalles oder eines Schädel-Hirn-Traumas steht mit Sicherheit die neurochirurgisch-neurologische Expertise im Sinne der Behandlung des Hirnödems, der zerebralen Perfusionsstörung und einiger weitere zerebraler Probleme im ­Mittelpunkt. Patienten in dieser frühen Phase in einer allgemeinen intensivmedizinischen Einheit behandeln zu lassen, ist eher kritisch.

Der zentrale Punkt des demografischen Wandels ist vor allem das Älterwerden der Bevölkerung. Dementsprechend ist mit einer immer grösseren Anzahl von Schlaganfall­patien­ten zu rechnen, die entsprechend be­handelt werden müssen. Zudem sind die intensivmedizinischen Herausforderungen auch bei älteren Schädel-Hirn-Trauma-Patienten und allen anderen Erkrankungen erheblich grösser. Es geht um die Mischung einer flächendeckenden qualitativ hochwertigen Versorgung von relativ häufigen Erkrankungen, wie dem Schlaganfall oder Schädel-Hirn-Trauma, und einer hoch spezialisierten Behandlung von aneurys­ma­tischen Subarachnoidalblutungen oder Gefässmalformationen, die einfach aufgrund der Menge nur an wenigen Zentren durchgeführt werden können, die mit ihrer Fallzahl eine ausreichende Expertise haben. Dies soll durch neurovaskuläre Netzwerke und neurovaskuläre Spitzenzentren aufgefangen werden, die miteinander interagieren und so eine räumliche Versorgung auf hohem Niveau ermöglichen.

Jeder auf seinem Gebiet

Warum Interdisziplinarität gerade in der Neurointensivmedizin eine grosse Rolle spielt, erklärt sich aus der notwendigen Kompetenz. Vatter ist sich sicher, dass gerade in einer modernen Medizin die Vorstellung, dass es einen «Alleskönner» geben könnte, überholt ist. Deswegen kommt es ganz wesentlich darauf an, dass jeder das macht, was er tatsächlich am besten kann und woraufhin seine Ausbildung auch spezialisiert ist. Die Neurointensivmedizin ist dabei mit Sicherheit eine Schnittmenge. Hier kommt es darauf an, dass anästhesiologische, internistische, neurologische und neurochirurgische Kompetenzen gebündelt werden. Das ­Ganze muss selbstverständlich durch eine optimale Bildgebung sowie die Möglichkeiten neuro­radiologischer Interventionen unterstützt werden. Nicht vernachlässigt werden darf allerdings der Fakt, dass eine Neurointensivstation nur dann gut funktioniert, wenn ähnlich der Zusammenarbeit zwischen Neurologen, Neurochirurgen, Internisten und Anästhesisten auch die Pflege, Physiotherapeuten und vor allem auch Logopäden zusammen gut funktionieren. Insbesondere liegt die Herausforderung darin, dass die einzelnen Fachrichtungen und auch der Pflege- und Therapiebereich miteinander interagieren und sich austauschen und nicht nur nebeneinander existieren, unterstrich der Experte.

Kongress: Arbeitstagung NeuroIntensivMedizin (ANIM)

InFo NEUROLOGIE & PSYCHIATRIE 2023; 21(1): 29 (veröffentlicht am 8.2.22, ahead of print)

Leoni Burggraf 

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