Die Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN) und die Deutsche Schlaganfall-Gesellschaft (DSG) haben dieses Jahr die neue S2k-Leitlinie ‹Sekundärprophylaxe ischämischer Schlaganfall und transitorische ischämische Attacke› publiziert. Diese enthält ein breites Armamentarium an Empfehlungen, um das Rezidivrisiko nach ischämischem Insult oder TIA zu senken.

Schlaganfallrezidive sind relativ häufig. Aktuelle Analysen zeigen, dass fast jeder Fünfte, der einen Schlaganfall erlitten hat, innerhalb der nächsten fünf Jahre mit einem Folgeschlaganfall rechnen muss [1]. Nach einer transitorischen ischämischen Attacke (TIA) ist das Schlaganfallrisiko vor allem in den Tagen unmittelbar nach der Attacke deutlich erhöht. Der Rezidiv-Prophylaxe kommt somit eine besondere Bedeutung zu. «Die neurologische Nachsorge sollte dabei weit über die medikamentöse Einstellung der ‹klassischen› Risikofaktoren wie Bluthochdruck oder hohe Lipidwerte hinausgehen», betont DGN-Generalsekretär Prof. Dr. med. Peter Berlit [4]. Während im Teil 1 der Leitlinie der Fokus auf der medikamentösen Behandlung der ‹klassischen› Risikofaktoren liegt (Gerinnungshemmung, Therapie von Hypercholesterinämie und Hypertonie) werden im Teil 2 die darüberhinausgehenden Risikofaktoren wie Lebensstil, Diabetes mellitus, Hormonersatztherapie und Schlafapnoe thematisiert [2–4].

Indikation für Gerinnungshemmung individuell klären

Zur Schlaganfallprävention ist in bestimmten Situationen oder bei bestimmten Erkrankungen die Gabe von gerinnungshemmenden Medikamenten notwendig. «Die Thrombozytenaggregationshemmung und der Einsatz der oralen Antikoagulation sollten individuell je nach Blutungsneigung, Komorbiditäten und Risikofaktoren aufeinander abgestimmt werden. Die Leitlinie gibt hier einen Handlungskorridor vor, innerhalb dessen eine auf die einzelne Patientin/den einzelnen Patienten angepasste Therapie erfolgen kann», erklären Prof. Dr. med. Gerhard F. Hamann, Prof. Dr. med Armin Grau, und Prof. Dr. med. Joachim Röther, die alle Experten der Deutschen Schlaganfall-Gesellschaft (DSG) sind [2–4].

Zur Thrombozytenaggregationshemmung werden in der Leitlinie ausschliesslich Acetylsalicylsäure (ASS), Clopidogrel und Ticagrelor empfohlen, andere Präparate haben mehr Nebenwirkungen oder es fehlt der Nachweis eines Zusatznutzens. Bei vertretbarem Blutungsrisiko ist die frühe (das heisst innerhalb von 24 Stunden nach Symptombeginn) und kurzzeitige doppelte Thrombozytenaggrega­tions­hemmung mit ASS und Clopidogrel für 21 Tage oder alternativ ASS und Ticagrelor für 30 Tage möglich. Bei Betroffenen mit Vorhofflimmern sollte immer eine orale Antikoagulation erfolgen, mit direkten oralen Antikoagulanzien.

Vorhofflimmern als Indikation für orale Antikoagulation

Vorhofflimmern (VHF) ist eine häufige Erkrankung und Betroffene haben ein vier- bis fünffach erhöhtes Risiko für einen ischämischen Schlaganfall. Zudem steht mit der oralen Antikoagulation (OAK) eine hocheffektive Therapie zur Verhinderung von Schlaganfällen bei VHF zur Verfügung. Die Leitlinie empfiehlt bezugnehmend auf die aktuelle Evidenzlage bei Patienten mit ischämischem Schlaganfall oder TIA mit permanentem, persistierendem oder paroxysmalem Vorhofflimmern eine OAK durchzuführen [2] (Kasten). Thrombozyten­aggre­ga­tionshemmer (TFH) sollen im Anschluss an die Akutphase in der Sekundärprävention nach ischämischem Schlaganfall oder TIA mit Vorhofflimmern nicht mehr verwendet werden, sofern keine anderweitige dringende Indikation für die Gabe von TFH vorliegt. Bei bestehender Thrombozytenaggregationshemmung aus anderer Indikation sollte eine interdisziplinäre Konsensfindung über die Notwendigkeit einer dualen oder Triple-Therapie angestrebt werden. Bei Kontraindikation zur dauerhaften OAK kann ein individueller Behandlungsversuch mit LAA-Okklusion erwogen werden. Bei Patienten mit erhöhtem Blutungsrisiko und dialysepflichtigen Pa­tien­ten kann bei stattgehabtem ischämischem Schlaganfall und VHF die Implanta­tion eines Vorhofohrokkluders erwogen werden. Denn Thromben, welche beim VHF embolisieren, entstehen in der überwiegenden Mehrheit im linken Vorhofohr (linksatrialer Appendix, LAA).

 

 

Hypertonie und Dyslipidämie behandeln

Der Blutdruck sollte nach einem Schlaganfall oder einer TIA langfristig unter 140/90 mm Hg gesenkt werden. Je nach Alter der Betroffenen, Verträglichkeit der Blutdrucksenker und Vorerkrankungen ist sogar eine Senkung auf systolisch 120 bis 130 mm Hg zu erwägen, wobei das Erreichen der Zielblutdruckwerte einen höheren Stellenwert als die Wahl der antihypertensiven Therapie hat.

Patienten mit ischämischem Schlaganfall oder TIA in der Vorgeschichte haben ein hohes Risiko, eine weitere atherosklerotisch bedingte kardiovaskuläre Erkrankung (ASCVD) zu erleiden, einschliesslich eines Schlaganfallrezidiv. Als Zielwert der cholesterinsenkenden Therapie gilt ein LDL-C-Wert von unter 70 mg/dl; alternativ kann eine Reduktion um >50 Prozent des Ausgangswerts erfolgen.

Lebensstilfaktoren nicht ausser Acht lassen

«Für Betroffene sind insbesondere die Informationen zum Lebensstil von hoher Relevanz, da sie ihn selbst beeinflussen können», erklärt Prof. Dr. Dr. med. Tobias Kurth [4]. Wobei gerade die langfristige Lebensstilumstellung für viele Patienten eine Herausforderung darstellt, bei der Mediziner immer wieder Unterstützung leisten müssen. Der regelmässige Verzehr von Obst und Gemüse oder eine mediterrane Diät senken das Risiko eines Schlaganfallrezidivs und vaskulärer Folgeereignisse. Der Salzkonsum sollte reduziert werden. Für den Einsatz von Nahrungsergänzungsmitteln oder die routinemässige Substitution von Vitaminen besteht laut Leitlinie keine eindeutige Evidenz. Wichtig ist regelmässige körperliche Aktivität, eine Reduktion des Alkoholkonsums sowie Rauchstopp/-verzicht. Diabetes mellitus als ‹gewichtigem› Risikofaktor für Schlaganfälle gilt es vorzubeugen. Diabetiker sollten nach einem Schlaganfall besonders auf eine gute Blutzuckereinstellung achten (<65 Jahre: HbA1c 6,5–7%; >65 Jahre: HbA1c 6,5–7,5%). Neben Lebensstilmodifikation und Diabetes mellitus geht Teil 2 der Leitlinie ausserdem auf die Indikationen zur OAK jenseits des Vorhofflimmerns ein sowie auf die Therapie von Dissektionen der hirnversorgenden Arterien, die Behandlung intrakranieller Gefässstenosen, die Hormonersatztherapie und das obstruktive Schlafapnoesyndrom. Bei Schlaganfällen im Zusammenhang mit einer onkologischen Erkrankung und einer tumorinduzierten Hyperkoagulopathie sowie bei Herzinsuffizienz mit einer Ejektionsfraktion <35% kann eine OAK anstelle einer Thrombozytenfunktionshemmung erwogen werden. Nach einer Schlafapnoe als zusätzlichem Risikofaktor soll man gezielt suchen. Die nächtliche Überdruckbeatmung (CPAP) ist bei mittelschwerer bis schwerer Schlafapnoe die Therapie der Wahl. Schlaganfallpatienten, die Kontrazeptiva einnehmen, sollten nach Möglichkeit andere Verhütungsmethoden erwägen.

Literatur:

  1. Stahmeyer JT, et al.: Häufigkeit und Zeitpunkt von Rezidiven nach inzidentem Schlaganfall. Eine Analyse auf Basis von GKV-Routinedaten. The frequency and timing of recurrent stroke – an analysis of routine health insurance data. Dtsch Arztebl Int 2019; 116: 711–717.
  2. Hamann GF, et al.: Deutsche Schlaganfall-Gesellschaft und Deutsche Gesellschaft für Neurologie. Sekundärprophylaxe ischämischer Schlaganfall und transitorische ischämische Attacke: Teil 1, S2k-Leitlinie, 2022, https://dgn.org/leitlinien/ll-030-133-sekundarprophylaxe-ischamischer-sc…, (letzter Abruf, 23.11.2022)
  3. Olma MC, et al.: Sekundärprophylaxe ischämischer Schlaganfall und transitorische ischämische Attacke – Teil 2, S2k-Leitlinie, 2022, Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN) und Deutsche Schlaganfall-Gesellschaft (DSG), https://dgn.org/leitlinien/ll-030-143-sekundarprophylaxe-ischamischer-sc… (letzter Abruf, 23.11.2022)
  4. «Neue Leitlinie der DGN und der DSG zur Sekundär­prävention von Schlaganfällen», Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN), 04.07.2022.
  5. Diener HC, et al.: Dabigatran compared with warfarin in patients with atrial fibrillation and previous transient ischaemic attack or stroke: a subgroup analysis of the RE-LY trial. Lancet Neurol 2010; 9(12): 1157–1163.
  6. Easton JD, et al.: Apixaban compared with warfarin in patients with atrial fibrillation and previous stroke or transient ischaemic attack: a subgroup analysis of the ARISTOTLE trial. Lancet Neurol 2012; 11(6): 503–511.
  7. Hankey GJ, et al.: Rivaroxaban compared with warfarin in patients with atrial fibrillation and previous stroke or transient ischaemic attack: a subgroup analysis of  ROCKET AF. Lancet Neurol 2012; 11(4): 315–322.
  8. Rost NS, et al.: Outcomes With Edoxaban Versus Warfarin in Patients With Previous Cerebrovascular Events: Findings From ENGAGE AF-TIMI 48 (Effective Anticoagulation With Factor Xa Next Generation in Atrial Fibrillation-Thrombolysis in Myocardial Infarction 48). Stroke 2016; 47(8): 2075–2082.
  9. Zonneveld TP, et al.: Blood pressure-lowering treatment for preventing recurrent stroke, major vascular events, and dementia in patients with a history of stroke or transient ischaemic attack. Cochrane Database Syst Rev 2018 Jul 19;7(7): CD007858. doi: 10.1002/14651858.CD007858.pub2.

Mirjam Peter, M.Sc.

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