Auch nach einer milden Covid-Infektion können prolongierte Symptome auftreten, welche die Betroffenen erheblich einschränken. Es gibt immer mehr klinische Einrichtungen, die spezialisierte Sprechstunden und Programme anbieten. Die Leiterin der interprofessionellen Long-Covid-Sprechstunde des Stadtspitals Waid in Zürich berichtete anlässlich des diesjährigen Symposiums der Vereinigung Allgemeiner und Spezialisierter Internistinnen und Internisten Zürich über ihre bisherigen Erfahrungswerte.

Long Covid ist ein viel diskutiertes Thema, das in der Öffentlichkeit auf grosses Interesse stösst. «Wir in der Long Covid-Sprechstunde arbeiten vor allem mit Patienten, die nach 12 Wochen noch Symptome haben», erklärt Chefärztin Dr. med. Elisabeth Weber, Kantonsärztlicher Dienst und Leiterin der interprofessionellen Long Covid Sprechstunde des Stadtspitals Waid [1].

Die Implikationen dieser Beschwerden können erheblich sein und es sei wichtig, die Patienten angemessen zu unterstützen. Von Mai 2021 bis Januar 2022 wurden 130 Patienten an die interprofessionelle Sprechstunde am Stadtspital Waid überwiesen. Bei 50 dieser Patienten wurde die Betreuung abgeschlossen, 50 waren unter einer laufenden Behandlung und 30 wurden an andere Zentren überwiesen. Die Prävalenzdaten von Long Covid/Post Covid variieren je nach Studie respektive Datenquelle. Man geht davon aus, dass rund 10–30% der an Covid-19 Erkrankten einen prolongierten Symptomverlauf aufweisen [2]. In einer Studie unter Einschluss von 143 Covid-Patienten klagten 60 Tage nach Infektion 32% über 1 oder 2 Symp­to­me und 55% über mindestens 3 Symptome [3]. Vaes et al. 2021 haben von 239 Covid-19-Pa­tien­ten im Langzeitverlauf Daten erhoben [4]. Es zeigte sich, dass die Beschwerden im Zeitraum von 3–6 Monaten nach der akuten Erkrankungsphase abnahmen. Dies hatte auch Auswirkungen auf die Leistungsfähigkeit, aber rund die Hälfte der Studienteilnehmer wiesen auch in dieser Phase nach wie vor Arbeitsabsenzen auf. Der Anteil derjenigen, die ihren Gesundheitszustand selbst als gut einschätzten lag nach diesem Zeitraum bei 16,7%.

Fatigue-Beschwerden sind sehr häufig

Zurzeit existiert keine universell gültige einheitliche fachliche Definition für Symptome nach der Akutphase eines Covid-19-Infektes. Gemäss ­aktueller Leitlinie bezeichnet Long Covid das Vorhandensein von Symptomen über 4 Wochen nach Beginn einer akuten Covid-19-Erkrankung hinaus [5] (Abb. 1). In klinischen Studien findet man auch den Begriff «Anhaltend symptomatischer (prolongierter) Covid-19-Infekt» im Zeitraum von 4 bis 12 Wochen nach der akuten Erkrankungsphase und jenen des «Post-Covid-19-Syndroms» definiert durch über 12 Wochen hinaus anhaltende Beschwerden, die nicht durch eine alternative Diagnose erklärt sind [2]. Die Wahrscheinlichkeit, ein Long Covid-Syndrom zu entwickeln, ist unabhängig von der Schwere der akuten Infektion und es spielt keine Rolle, ob die Betroffenen hospitalisiert waren oder nicht [2]. Unterschiedliche Organsysteme können betroffen sein. Sehr häufige Symp­tome sind Fatigue, Dyspnoe, beeinträchtigte Leistungsfähigkeit, Kopfschmerzen, Riech- und Geschmacksstörungen [7]. Fatigue sei ein sehr dominantes Symptom bei Long Covid-Patienten, betont Dr. Weber.

Ist Long Covid ein eigenständiges Krankheitsbild?

Wie hoch der psychische Anteil ist bei Patienten mit prolongierten Covid-Symptomen sei schwierig einzuschätzen. Es könnte sein, dass die psychische Grundvoraussetzung für Long Covid und Burnout ähnlich sind, so die Referentin. Rund die Hälfte habe in der Vergangenheit ein Burnout durchgemacht, aber es scheint bei Long Covid andere Komponenten zu geben, dies könnten die Betroffenen gut differenzieren, erklärt Dr. Weber [1]. Angesprochen auf einzelne Pa­tien­­ten, die nach einer SARS-CoV-2-Impfung über Long Covid ähnliche Symptome klagen, weist Dr. Weber darauf hin, dass man bei der Interpretation vorsichtig sein sollte. «Long Covid ist ein riesiges Fass», so die Referentin [1]. Eine Fatigue-Problematik komme auch im Rahmen anderer Grunderkrankungen vor, so zum Beispiel bei Multiple Sklerose oder beim obstruktiven Schlafapnoe-Syndrom und ist auch ein bekanntes Phänomen nach Viruserkrankungen wie Influenza oder EBV. Viele Experten gehen davon aus, dass es sich bei Long Covid um eine eigene Entität im Sinne einer Multisystemerkrankung handelt. Auch Dr. Weber ist der Auffassung, dass dies bei denjenigen Patienten, die mehr als 3 Monate nach einer Covid-19-Erkrankung noch Beschwerden haben, für welche es keine andere Erklärung gebe, zutreffend sei.

Long-Covid-Board: Interdisziplinäres und pragmatisches Behandlungskonzept

Hypothesen bezüglich ätiologischer Faktoren gebe es einige, empirisch gesichert sei bislang aber keine davon. Es werden verschiedene Mechanismen, wie funktionelle Einschränkungen multipler Organsysteme durch Gewebeschädigung, sowie eine postvirale Autoimmunität diskutiert [8]. Ähnliche Verläufe wie bei Long Covid sind auch bei anderen Coronaviren bekannt (z.B. SARS-CoV-1 und MERS), und diese haben pathophysiologische Parallelen mit einem post-akuten Covid-19 [2]. Die meisten dieser Patienten erholen sich zwar langsam oder spontan mit ganzheitlicher Unterstützung, Ruhe, symptomatischer Behandlung und langsamer Steigerung der Aktivität. Schwerwiegende gesundheitliche Komplikationen sind sehr selten. Deshalb ist es wichtig, die Patienten pragmatisch zu behandeln und Überdiagnostik zu vermeiden [2].

Das Ziel der ambulanten Long-Covid-Sprechstunde des Stadtspitals Waid sei es, für Patienten und Grundversorger eine Anlaufstelle zu bieten [1]. Das auf einem ganzheitlichen Betreuungskonzept basierende Angebot richtet sich vor allem an Betroffene in und um Zürich. Das interprofessionelle Team umfasst neben den Ärzten (Internisten) auch Fachpersonen aus den Bereichen Physiotherapie, Ergotherapie, Psychologie/Neuropsychologie sowie einen ambulanten Pflegedienst respektive eine psychosoziale Spitex. Falls nötig werden auch andere Anlaufstellen vermittelt. «Das Herzstück unserer Arbeit ist das Long Covid-Board», so die Referentin. Im Rahmen von wöchentlichen Meetings werden dort neben Fallbesprechungen auch neue wissenschaftliche Erkenntnisse diskutiert. Das therapeutische Vorgehen orientiert sich an einem somatopsychischen und interprofessionellen Ansatz (Abb. 2). Wichtige Aspekte sind unter anderem Aufklärung, Beruhigung und ernst nehmen der Betroffenen. Anleitung zum Energiemanagement ist ebenfalls ein essentieller Bestandteil im Zusammenhang mit der häufig vorkommenden Fatigue-Problematik.

Die Zuweisung der Patienten erfolgt durch Hausärzte, die Wartezeit beträgt rund 4–6 Wochen(Kasten). In der interprofessionellen Sprechstunde werden vorwiegend Patienten betreut, welche 12 Wochen nach Beginn einer akuten Covid-19-Erkrankung persistierende Symptome haben. Frühere Zuweisungen seien möglich, es werde dann triagiert, erklärt Dr. Weber.

Quelle: VZI Symposium
 

Literatur:

  1. Weber E: Long Covid – Erfahrungen aus der interprofessionellen Sprechstunde. KD Dr. med. Elisabeth Weber, VZI Symposium 12.01.2022
  2. Chmiel C: Long Covid/PASC (Post acute sequelae of SARS-CoV-2 infection). Factsheet. Letzte Änderung: 10/2021, www.medix.ch/wissen/guidelines/infektionskrankheiten/LongCovid-pasc-post-acute-sequelae-of-sars-cov-2-infection-factsheet (letzter Abruf 04.03.2022)
  3. Carfì A, Bernabei R, Landi F: Gemelli Against COVID-19 Post-Acute Care Study Group. Persistent Symptoms in Patients After Acute COVID-19. JAMA 2020; 324(6): 603–605.
  4. Vaes AW, et al.: Recovery from COVID-19: a sprint or marathon? 6-month follow-up data from online long COVID-19 support group members. ERJ Open Res 2021; 7(2): 00141–2021.
  5. Rabady S, et al.: Leitlinie S1: Long COVID: Wien Klin Wochenschr 2021; 133: 237–278.
  6. Sivan M, Taylor S: NICE guideline on long covid. BMJ 2020; 371: m4938. DOI:10.1136/bmj.m4938
  7. Deutscher Bundestag, www.bundestag.de/resource/blob/845546/c69b018b3a2ebd126c2589286de6e8cd/1…Covid-data.pdf (letzter Abruf 04.03.2022)
  8. Puta C, Haunhorst S, Bloch W: Sports Orthopaedics and Traumatology 2021; 37(3): 214–225.
  9. Koczulla AR, et al.: S1-Leitlinie Post-COVID/Long Covid. AWMF-Register Nr. 020/027, Stand 12.07.2021.

HAUSARZT PRAXIS 2022; 17(3): 4–5

Mirjam Peter, M.Sc.

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