Beim Relativen Energiedefizit-Syndrom oder auch Relatives Energiedefizit im Sport (RED-S) führt ein wiederholt vorhandenes Energiedefizit, bei dem die Energieaufnahme den Gesamt-Energieverbrauch nicht deckt, zu hormonellen Störungen, die eine Leistungseinbusse im Sport, der Knochendichteminderung und weitere gesundheitliche Probleme zur Folge haben können.
Ursprünglich wurde RED-S als «Female Athlete Triad» (FAT) bezeichnet. Dieses Konzept wurde Ende der 90er Jahre aufgestellt, als Athletinnen mit einer Essstörung vermehrt zu Osteoporose und Amenorrhö neigten. Im Verlauf der Zeit zeigte sich jedoch, dass nicht zwingend eine Essstörung für das Auftreten dieser Triade zu Grunde liegen muss, sondern schlicht die Zufuhr von zu wenig Energie. Da ein allgemeiner Energiemangel nicht nur die Knochen und den Zyklus betrifft, sondern das gesamte Körpersystem negativ beeinflussen kann, erarbeitete das Internationale Olympische Komitee 2014 den Symptomkomplex des RED-S «relative energy deficiency in sports». Dieses berücksichtigt einerseits die Triade und schliesst zusätzlich sämtliche anderen Körpersysteme ein, die durch ein Energiedefizit kompromittiert sind. Darüber hinaus betrifft RED-S alle Athleten, sowohl Frauen als auch Männer.
Energieverfügbarkeit in Zahlen
Das Energiedefizit bezieht sich auf die Energieverfügbarkeit, die wir über den Tag brauchen, um Stoffwechselprozesse durchführen zu können. Bei Frauen sollte eine angemessene Energiebilanz >45 kcal/d/kg FFM betragen, bei <30 kcal/d/kg FFM liegt eine zu geringe Energiebilanz vor [2]. Als Beispiel nennt Dr. Sabrina Baumgartner, vom Universitätsspital Zürich, eine Athletin mit einer Körpergrösse von 1,68 cm und einem Gewicht von 56 kg (Körperfettanteil = 20%, FFM = 44.8 kg). Wenn diese Athletin einen 90-minütigen Dauerlauf macht, sollte sie den Tag hindurch 2900 kcal zuführen, um gut ausbalanciert zu sein.
Das Risiko für eine niedrige Energieverfügbarkeit (LEA) und Essstörungen (RED-S/ED) tritt häufig bei individual Sportarten auf [3] sowie bei körperbetonten Sportarten, Ausdauersportarten, Anti-Gravitations-Sportarten und Sportarten, bei denen eine Zuordnung in Gewichtsklassen erfolgt. Insgesamt betrifft es 22-58% der Athleten [4]. Betroffen sind sowohl Leistungs- als auch Freizeitsportler [5], insbesondere weil Freizeitsportler nicht von einem professionellen Umfeld umgeben sind. Im Vergleich zur Normalbevölkerung (3-4%) [6], treten bei 12-79% der Athletinnen je nach Untersuchung und Sportart Menstruationsstörungen auf [3]. Eine kürzlich durchgeführte Untersuchung zeigt zudem, dass bei Athletinnen mit funktioneller hypothalamischer Amenorrhö (FHA) oft ein hyperandrogener Zustand verkannt wird [7].
Wirkung von LEA auf das Körpersystem
Bei einer zu niedrigen Energiezufuhr gelangt der Körper völlig aus dem Gleichgewicht, da er selbst versucht Energie bereit zu stellen. Dies geschieht einerseits über vermehrte Gluconeogenese und die Cortisolausschüttung, andererseits wird die Fettverbrennung angekurbelt. Es folgt die Veränderung diverser Konzentrationen: Adiponectin und Ghrelin steigen, Insulin, IGF-1 und Leptin sinken und inhibieren direkt die Hypothalamus-Hypophyse- und Schilddrüse-Achse. Weitere gesundheitliche Folgen sind im Symptomkomplex des RED-S dargestellt (Abb. 1) [1].
Diagnostische Schritte bei Amenorrhö
Besteht bei einer Athletin der Verdacht auf Amenorrhö, sollte eine FHA per Ausschlussdiagnose stattfinden, indem eine detaillierte gynäkologisch-endokrinologische Beurteilung durchgeführt wird. Das heisst, es folgt eine ausführliche Anamnese mit Erhebung der Stressoren, ein Ultraschall sowie ein Labor. Bei diesem sollten unbedingt die Androgene miteingeschlossen werden, da Athletinnen oft wenig Androgenisierungszeichen zeigen. Darüber hinaus sollten Funktionstests durchgeführt werden, wie ein Gestagentest und GnGH Test sowie eine Knochendichtemessung.
Behandlung des RED-S induzierten Amenorrhö
Um die Energieverfügbarkeit zu verbessern, sollte ein multidisziplinarer Ansatz gewählt werden, der eine sportspezifische Ernährungsberatung, mentalen Support und die Zusammenarbeit mit anderen Sportmedizinern beinhalten sollte. Ebenso sollten Stressreduktive Massnahmen erwogen werden, wie z. B. kognitive Verhaltenstherapie und eventuell eine Anpassung des Trainings [8]. Darüber hinaus sollte frühzeitig eine hormonelle Substitution in Erwägung gezogen werden. Bei Osteopenie wird diese mit transdermalen estradiol durchgeführt, standard dosiert mit Zugabe von Gestagen kontinuierlich oder sequenziell. Bei verlängerter Amenorrhö und normaler Knochendichte (kardiovaskulär) sollte mit der Patientin besprochen werden dies schon früher zu tun, da sie besonders kognitiv und kardiovaskulär schon früher von den Massnahmen profitieren kann. Eine kombinierte orale Kontrazeption bei energiesparenden Athletinnen wird hingegen laut Dr. med. Sabrina Baumgartner, vom Universitätsspital Zürich, nicht empfohlen. Die Patientin sollte aber genügend Vitamin d und Kalzium erhalten [1].
Quelle:
1. Dr. med. Sabrina Baumgartner: Management RED-S. Vortrag Jahreskongress gynécologie suisse 2021, 24.06.2021.
2. Mountjoy, M. et al.: Energy Availability in Athletics: Health, Performance and Physique. International Journal of Sport 2018; doi: 10.1123/ijsnem.2018-0201.
3. Slater, J. et al.: Female Recreational Exercisers at Risk for Low Energy Availability. Int J Sport Nutr Exerc Metab 2016; doi: 10.1123/ijsnem.2015-0245.
4. Gibbs, J. et al.: Prevalence of individual and combined components of the female athlete triad. Medicine & Science in Sports & Exercise 2013; doi: 10.1249/MSS.0b013e31827e1bdc.
5. Torstveit, M. & Sundgot-Borgen, J.: Participation in leanness sports but not training volume is associated with menstrual dysfunction: a national survey of 1276 elite athletes and controls. Br J Sports Med 2005; doi: 10.1136/bjsm.2003.011338.
6. Bachmann, G. & Kemmann, E.: Prevalence of oligomenorrhea and amenorrhea in a college population. Am J Obstet Gynecol 1982; doi: 10.1016/0002-9378(82)90402-1.
7. Koltun, K. et al: Female Athlete Triad Coalition cumulative risk assessment tool: proposed alternative scoring strategies. Appl Physiol Nutr Metab 2020; doi: 10.1139/apnm-2020-0131.
8. Loucks, A. et al.: Low energy availability, not stress of exercise, alters LH pulsatility in exercising women. J Appl Physiol 1985; doi: 10.1152/jappl.1998.84.1.37.
Isabell Bemfert